Die Poesie der Existenz; Malerei von Yari Ostovany

Dr. Christoph Kivelitz | > English translation by Dr. Joep Lameer 
Dr. Christoph Kivelitz
Dr. Christoph Kivelitz

Yari Ostovany setzt sich in seinem Schaffen auf verschiedenen Ebenen mit der Erfahrung eines kulturellen Gedächtnisses auseinander. In Bildzyklen umkreist der Künstler assoziativ mythisch geprägte Motive, in denen die Frage nach dem Ursprung und der Sinnhaftigkeit des Lebens aufgeworfen wird. Hierzu gehören die”Vogelgespräche” und die Figur des Ikarus. Zwei weitere Bildzyklen versteht der Künstler als Hommage an Goya und Ezra Pound, deren Gedankenwelt ihn wesentlich in seiner abstrakten Bildsprache beeinflusst hat.

Die”Vogelgespräche” beziehen sich auf eines der klassischen Werke der Sufi-Literatur, verfasst von Farid du-din Attar, einem der grossen Sufis, die im Persien des 12. Jahrhunderts wirkten, lehrten und dichteten. Der Held seines berühmten Buches, der Wiedehopf, denkt und fühlt wie ein Sufi, für den das einzig Wesentliche im Leben die direkte, unmittelbare Erfahrung Gottes ist. Als sich eines Tages sämtliche bekannten und unbekannten Vogelarten der Erde versammeln und von der Notwendigkeit sprechen, einen eigenen König zu haben, weiss er Rat. Den König gebe es doch längst, den in grösster Verborgenheit lebenden Vogel Simurgh, der den Vögeln ebenso nahe sei wie sie ihm fern. Zu ihm, ihrem König wolle der Wiedehopf seine Mitvögel führen, allein die Reise sei lang und gefährlich. Offensichtlich ist der Simurgh ein Symbol für Gott, die verschiedenen Vogelarten wiederum symbolisieren die unterschiedlichsten Menschentypen.

Die Reise führt die Vögel nun durch sieben mystische Täler, von denen jedes einer Stufe auf dem Weg zu Gott, einem inneren Zustand des Gottsuchenden entspricht, durch Durst, Hunger, Hitze, Kälte, Äussere und innere Feinde. Schliesslich sind es gerade dreissig, die ihrer Absicht treu geblieben sind und nun vor den Toren des sagenhaften Simurgh stehen. Ein gewaltiger Glanz durchdringt sie, der sie von allen ihren bisherigen Handlungen reinwäscht. Und in dieser Neugeburt erkennen sie, dass sie, die dreissig Vögel (persisch:”si-murgh”) nicht getrennt vom grossen Simurgh sind, dass er in ihnen ist, sie in ihm. Mit der Erkenntnis dieser fundamentalen Einheit, ausgedrückt im berühmtesten Wortspiel der persischen Literatur, schliessen Reise und Buch. Yari Ostovany zielt nicht auf eine Wiedergabe dieser Erzählung im Sinne einer Illustration oder symbolischen Vergegenwärtigung, Um dies in seinen eigenen Worten zu sagen: In meinem Werk strebe ich danach, die Poesie der Existenz zu berühren, eine Poesie, die eben nicht linear ist und die oberhalb und jenseits der Grenzen einer geometrisch gefassten Logik anzusiedeln ist.

Die Bilder des Zyklus”Vogelgespräche” stellen sich als konkrete Gestaltungen dar, in der Farb- und Formbildungen als autonome Erfahrungswerte zur Erscheinung gebracht sind. Der Künstler vermittelt keine Aussage im Sinne einer Botschaft, die der Betrachter lesend-schauend, intuitiv oder im Einsatz seines Verstandes zu entschlüsseln hat. Im Bildentwurf schafft er eine Wirklichkeit, die sich in der Anschauung des Betrachters je neu formt und eine je neue Ausprägung findet. Aus unauflösbar ineinander verwobenen und miteinander verschmelzenden Farbschichten gliedert Yari Ostovany meditative Räume, in denen sich assoziativ Erinnerungen und Vorstellungen erschliessen. Vertikale Linienverläufe und horizontal gestaffelte Strukturen dienen der rhythmischen Organisation eines Tiefenraums, der durch jeweils vorherrschende farbliche Grundtöne atmosphärisch gestimmt ist.

Verdichtungen im Farbauftrag, in den Vordergrund drängende Tiefenschichten, durch Kratzen, Schaben oder zeichnerisch aufgetragene Formbildungen vermitteln Ahnungen von Zeichenhaftigkeit und Bedeutsamkeit. Behutsam artikuliert sich hier das Bedürfnis, sich in einer Mitteilung kundzutun, den eigenen Gedächtnisraum zu öffnen und die individuelle Erfahrung auf eine universale Ebene zu weiten. Aufwachsende, organisch anmutende Gebilde verbinden sich mit Kreuzesformationen, chaotisch sich entfaltende, impulsive Gestik steht neben geometrisch gefassten Ordnungen, Ornamentales stösst auf Narratives, Diffuses auf klare Konturen, um so unterschiedliche Möglichkeiten bildlicher, symbolischer und zeichenhafter Darstellung zu erproben und zu vergegenwärtigen. Seine Kunst empfindet Yari Ostovany als eine ganz persönliche Erkundungsreise, als ein Experiment, in dem er vorherrschende und etablierte Wahrnehmungs- und Denkweisen herauszustellen und zu durchbrechen sucht. Seine Arbeit begreift er als Dialog, der, dem musikalischen Ordnungsprinzip der Fuge vergleichbar, Inneres und äusseres, gegenläufige und gleichgerichtete, sich überlappende und verschmelzende Schichten der Wahrnehmung in einem Spannungsverhältnis zusammen führt. Er untersucht die kulturellen Traditionen seines Herkunftslandes, des Iran, und gleichermassen die des Westens, denn seine künstlerische Ausbildung erfolgte in US-amerikanischen Kunsthochschulen.

Doch Yari Ostovany strebt in seiner künstlerischen Arbeit nicht danach, Gegensätze und Besonderheiten der persischen und der westlichen Kunst in einer Synthese zu verschmelzen. Ihm geht es vielmehr darum, im jeweiligen visuellen Vokabular möglichst grundlegende und abstrakte kulturelle Muster aufzuspüren. Aus den motivischen und gestalterischen Bezügen, die der Künstler in dieser Analyse an die Oberfläche bringt, entwickelt er eine Ausdrucksform, die sich nicht zeichenhaft auf die beiden kulturellen Kontexte bezieht, sondern beiden gleichermassen in je unterschiedlicher Weise und Ausrichtung eingeschrieben ist. Die persisch-islamische Kunst ist wie auch die jüdische Kunst ganz entscheidend durch das alttestamentarische Gebot bestimmt, Gott nicht in menschlicher Gestalt zu repräsentieren: … Du sollst dir kein Bildnis machen …  Da es also keine figurativen Darstellungen gibt, geht die islamische Kunst von grundsätzlich anderen Voraussetzungen aus als die antike und mittelalterliche Kultur des Christentums. Künstler stellen sich eher auf abstrakte Gestaltungsmittel ein, auf Linie, Farbe und Textur. Nur in Ausnahmefällen werden eine individuelle Figur oder ein Emblem Gegenstand der kontemplativen Betrachtung; meistens richtet sich diese auf rahmende Arabesken oder geometrische Einfassungen. Schon seit der Antike legt sich die westliche Kunst auf die menschliche Figur und das Verhältnis der bildlichen Darstellung zu einer Erzählung fest. Die islamische Kunst hat dieses klassische Erbe aufgegeben und die künstlerische Erzählung der Dichtkunst überlassen. Bilder haben die Bedeutung, über emblematische Bezüge auf die Welt der Ideen anzuspielen.

Während es in der antiken Kultur darum ging, bestimmte Textpassagen zu illustrieren, wird hier der Betrachter aufgefordert, innerhalb eines durch das jeweilige Thema vorgegebenen Rahmens frei zu assoziieren. Die nicht-figürliche islamische Kunst ist auf der formalen Ebene durch das Streben um Ausgleich, Kontrolle und Gleichmass bestimmt und als solche ganz entschieden selbst-bezüglich. Auf eine bildliche Verdichtung, die nicht in Aussagelosigkeit, sondern in einer weitausgreifenden, universalen Metaphorik mündet, zielt auch der Abbau optischer Unterscheidungsmerkmale, so wie er sich in der westlichen abstrakten Kunst seit Malewitsch vollzogen hat. Dieser ikonoklastische Akt zerstört die vielfältigen Möglichkeiten des Unterscheidens bis auf einen einzigen Kontrast. Die differenzarme innere Struktur verweist auf eine ebenso umfassende und absolute Realität. Die im Gedanken einer grenzenlosen Totalität komprimierte Wirklichkeit besitzt kein mögliches sprachliches Prädikat mehr. Der Suprematismus von Malewitsch versucht, die Kultur zu den universellen, kosmischen Wahrheiten zurückzuführen, und merzt deswegen alle Unterscheidungsmerkmale aus. Die schöpferische Tätigkeit aber kennt keine Begrenzungen, keine Schranken. Sie ist in ihrem Wirken wie das Universum grenzenlos und kann daher zum”Nichts”, zur Ewigen Ruhe” gelangen. Dem”Weissen Quadrat auf weissem Grund” von Malewitsch korrespondieren in der US-amerikanischen Kunst der 50/60er Jahre die”Abstract Paintings” von Ad Reinhardt, in denen die Primärfarben sich in der †berlagerung nahezu in der Ununterschiedenheit einer schwarzen Fläche auslöschen. Auch der amerikanische Künstler der Nachkriegszeit zielt auf das Absolute: Der eine Massstab in der Kunst ist Ein-heit und Schönheit, Richtigkeit und Reinheit, Abstraktheit und extreme Feinheit. Das Eine, was sich über die beste Kunst sagen lässt, ist die Atemlosigkeit, Leblosigkeit, Todlosigkeit, Inhaltlosigkeit, Formlosigkeit, Raumlosigkeit und Zeitlosigkeit. Das ist immer das Ziel und Ende der Kunst.

Doch gerade dieser Anspruch zielt auf eine allumfassende Totalität, in der in säkularisierter Form eine Gottesvorstellung aufgehoben ist. In einer vor- bzw. metasprachlichen Erfahrung soll sich dem Betrachter etwas Numinoses, begrifflich nicht Fassbares, doch intuitiv Gewusstes oder Geahntes offenbaren. Die Versöhnung des Besonderen mit dem Allgemeinen scheint in der individuellen Erfahrung greifbar und möglich zu werden. Doch gerade hier bringt Yari Ostovany  Zweifel an. Der blosse Akt der Negation aller ausserbildlichen Bezüge vermag kaum im Sinne einer Katharsis den verlorenen Ursprung zur Anschauung zu bringen. Er begibt sich umsichtig auf eine Spurensuche, in der hieroglyphische, bildhafte oder auch emblematische Zeichen gleichsam schattenhaft zur Erscheinung gebracht werden, um im chaotischen Geflecht aus den verschiedensten symbolischen Ordnungen für sich selbst wie auch für den Betrachter mögliche neue Orientierungen und Bezugssysteme zu entwerfen und assoziativ zur Entfaltung zu bringen. Die Sehnsucht nach Ursprung versetzt den Betrachter mit jedem Bild in neue Gedächtnisräume und vermittelt der Erinnerung damit neue Perspektiven. Die Entschlüsselung der Bilder und Codes vollzieht sich in einer Spiralbewegung, die auf einen Mittel- und Endpunkt zielt, ohne je diese Erfüllung erreichen zu können.  So finden auch wir uns in der Lage, den gedachten Gehalt der Bilder sprachlich fassen zu müssen, wo dieser sich doch dem geometrisch-logischen Verstand entzieht. Diese paradoxe Situation ist auszuhalten.

Bochum, 2002.


Christoph Kivelitz (1966 – 2011) studierte Kunstgeschichte, Archäologie, Romanistik und Slawistik in Bochum, Lille und Berlin. Er promivierte an der Humboldt-Universität zu Berlin und hatte Studienaufenthalte in Rom, Turin, St. Petersburg und Moskau.
Christoph Kivelitz war Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und des Berliner Senats. Von 2000 an war er als Kunsthistoriker, freiberuflicher Kurator, und Projektmanagement tätig. Zum künstlerischen und geschäftlichen Leiter des Dortmunder Kunstvereins wurde er im Jahre 2005 ernannt

 

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